"Mutti-Bashing" und Stutenbissigkeit in der Kreativszene- Oder wie wär es mal mit "Gönnen-können"?


Momentan beschleicht mich wieder das Gefühl, dass es hochkocht, in der kreativen Welt. In den sozialen Netzwerken scheint sich wiederholt ein Schimpfwort zu etablieren, das eigentlich keins sein dürfte: MUTTER

Normalerweise gibt es diese Diskussionen über die grundsätzlich als "böse" und "schlecht" zu betrachtenden Menschen, die versuchen mit dem Hobby anderer Geld zu verdienen, phasenweise in ein bis zwei Gruppen auf Facebook, und dann flaut sie wieder ab. Momentan scheint sich diese Phase leider in vielen Gruppen, in denen ich bin, zur gleichen Zeit auf einem Höhepunkt zu befinden. In genug Gruppen, dass ich meinen Senf nun doch dazu gebe- und meistens halte ich mich bei diesen aufgeheizten Themen zurück.

Der Status quo

Das was ich aktuell häufig lese ist, dass "diese" Muttis alle "nachdem sie ihre erste Pumphose genäht haben, meinen, ihre Sachen verkaufen zu müssen" (Zitat nach einer Userin in der Facebookgruppe "Günstig Stoffe kaufen im Ausland"). Die Qualität der von Müttern in der Elternzeit gefertigten Stücke sei generell eher mies einzustufen, wie man jetzt festgestellt habe, wo man selber näht. Auf Nachfrage war man aber als man es kaufte noch zufrieden, denn da wusste man es nicht besser.
Alternativ wird in anderen Gruppen wiedereinmal der etablierte Vorwurf des Ideenklaus damit in Verbindung gebracht, dass "diese" Muttis nur auf Likes für ihre kleinen Seiten aus seien und dass sie sich in der Elternzeit wohl langweilen würden und nichts besseres zu tun hätten. Ohnehin wird davon ausgegangen, dass Frauen, die in der Elternzeit arbeiten oder sich selbstständig machen, zu blöd wären richtig Elterngeld zu kassieren, da ihnen ihre Gewinne letztlich gegengerechnet werden, und man mehr Elterngeld bekäme, wenn man nicht arbeitet.

Ich bin mir bewusst, dass ich hier die krassesten Aussagen zusammengestellt habe, nicht die, mit denen die Diskussionen beginnen, sondern die Meinungen, die weiter unten in der Liste der Kommentare mit vielen Likes und weiteren Antworten gefeiert werden. Ich möchte nichtmal unterstellen, dass die, die den ursprünglichen Beitrag geschrieben hatten, auf eine solche Diskussion und teilweise solche beleidigenden oder verletzenden Aussagen abgezielt, oder sie für möglich gehalten haben. Aber sie kommen. Zuverlässig. Wie ein Uhrwerk.
Irgendwann folgt dann oft die Aussage einer Gewerbetreibenden, dass die Mütter ohnehin alle schwarz arbeiten, ihre Textilien nicht kennzeichnen oder sich nicht fortbilden würden.
Alle kacke, besonders Muttis! Und am meisten die, die versuchen sich durch Nachfragen in Nähgruppen zu informieren. Über denen wird erstrecht Spott, Schande und die Unterstellung von Naivität ausgeschüttet. Traurig. Wie man es macht, man macht es falsch.

Raushalten?

Ja, ich könnte mich da raushalten. Will ich aber nicht. Wenn ich höre, dass die großen Schnitt- und Anleitungserstellerinnen die einzigen sind, denen man vertrauen kann, weil es nicht "solche" Muttis sind, finde ich das traurig. Warum? Weil viele von ihnen schon auf ihren Blogs darüber geschrieben haben, wie sie zu ihrem Job und ihrer Position gekommen sind. Und wie fangen diese Geschichten an? Oft mit der Geburt eines Kindes. Mit Veränderungen, die ein Baby ins Leben bringt. Und mit teilweise notwendigen und teilweise gewünschten Änderungen, die man im Rahmen der nun notwendigen Neujustierung von Prioritäten, Lifestyle, Job und Familienleben vornimmt.

Ich finde immer, ein besonders passendes Beispiel für sehr professionelle Arbeit in der Szene ist Julia von Kreativlabor Berlin. Und auch sie ist ein Beispiel für eine Frau, die sich im Anschluss an die Elternzeit in der kreativen Szene selbstständig gemacht hat. Wie sie in ihrem Ebook "Wie du mit deinem DIY-Blog Geld verdienen kannst" beschreibt, übrigens keineswegs mit der Absicht, sich mit einem solchen Job noch ein paar Jahre auf die faule Haut legen zu können, und sich durch einen Mann finanzieren zu lassen, sondern mit der festen Absicht von diesem Job leben zu können! Die Hauptberuflichkeit, die oft als Qualitätsmerkmal und Gegensatz zu den Müttern genannt wird, schließt das Muttersein nämlich nicht aus, sondern ist oft ganz eng damit verknüpft.

Ich möchte nicht ausschließen, dass es wirklich ein paar Mütter gibt, die die Selbstständigkeit als Hobby betreiben. Oder die einfach einen Gewerberabatt nutzen möchten. Ich muss aber ganz klar sagen: Ich kenne KEINE von diesen Frauen persönlich. Alle, denen ich bisher so nah gekommen bin, dass man auch über die privaten Seiten des Berufs sprechen kann, waren sich sehr klar darüber, wieviel Arbeit sie sich mit ihrer Selbstständigkeit, auch über das reine Nähen oder Anleitungen schreiben hinaus, aufbürden. Ich mutmaße, dass nur wenige ihre Steuererklärung oder Buchhaltung als ein Hobby betrachten, und die, die ich kenne, sind sich sehr bewusst, dass diese unangenehmen Aufgaben direkt mit ihrer Selbstständigkeit verknüpft sind.

Eine Lanze brechen!

Eigentlich möchte ich hier mal eine Lanze brechen für die Mütter, die den Mut haben sich selbstständig zu machen. Und erklären, wie ich ihre Situation sehe:

Wenn eine Frau ein Kind bekommt, bringt das viele Veränderungen mit sich. Und ich bin, auch wenn ich bisher erst ein Kind habe, und somit keinen Vergleich über das Ausmaß der Veränderungen ziehen kann, die mit dem zweiten oder weiteren Kindern auf eine Familie zukommen, sicher, dass sie größte Veränderung der Schritt vom kinderlosen Paar oder Single zur kleinen Familie ist.
Man rechnet vor der Geburt mit einigen Veränderungen, aber nicht mit allen. Ab hier kann ich nur subjektiv erzählen, was ich selbst erlebt habe.
Bevor unser Sohn geboren wurde, war es für mich völlig normal, dass ich mich nach 18 Uhr nicht zu Hause, sondern bei Freunden, Familie, eben einfach unterwegs befunden habe. Je weiter er dem Säuglingsalter entwächst, desto weniger ist das inzwischen der Fall. In der Regel bin ich spätestens um 19 Uhr mitten im Abendprogramm.
Vor der Geburt des Zwergs, und auch noch etwas über anderthalbjahre nach der Geburt,  habe ich auf selbstständiger Basis gearbeitet. Dieser Job war mit vielen Kundenterminen verbunden. Meistens abends, wenn sowohl meine Kunden als auch ich in meiner Haupttätigkeit, nämlich als Studentin, Feierabend hatte. Ich habe in der Elternzeit gearbeitet und in Kauf genommen dadurch nur das Minimum Elterngeld zu bekommen, denn wer selbstständig ist, kann es sich nicht leisten ein Jahr zu pausieren, wenn er seinen Kundenstamm halten will.
Auch mein Mann arbeitet selbstständig, und vorwiegend abends. Als unser Sohn in die Krippe kam, wurde schnell deutlich, dass es nicht geht, dass er zusätzlich zu der Zeit die er tagsüber fremdbetreut ist, auch an drei bis vier Abenden in der Woche mit einem Babysitter zu Hause ist. Es geht nicht, weil ich mich damit nicht gut gefühlt hätte. Die Priorität hatte für mich in diesem Moment die Zeit, die ich mit meinem Sohn verbringen kann.

Wenn ich meine Situation, und die beruflichen und persönlichen Veränderungen, die sie mit sich gebracht hat, auf andere Mütter übertrage, kann ich uneingeschränkt nachvollziehen, warum sie sich in der Kreativszene selbstständig machen. Man möchte etwas tun, an dem man Spaß hat (das halte ich übrigens für eine notwendige Motivation um selbstständig erfolgreich zu sein). Man möchte oder muss Geld verdienen. Und man möchte zu Zeiten arbeiten, die es einem ermöglichen, dass die Zeit, die man mit seinen Kindern verbringen kann, auch Zeit ist in der man Zeit für die Kinder hat.
Für mich bedeutet das beispielsweise, dass ich von halb zehn bis nachmittags um drei und dann wieder wenn der Zwerg abends schläft, zu Hause, arbeiten kann- und alle weiteren notwendigen Dinge erledigen muss. Denn nach der Krippe bis zum Bett gehört meine Zeit ihm.

Emotionen

Eine nicht unwichtige Rolle in diesen vielen Entwicklungen spielen Emotionen. Veränderungen und eine Verschiebung der finanziellen Verantwortung durch die Geburt eines Kindes, die Erwartungen an die Mütter spätestens nach einem Jahr wieder zu arbeiten (aus politischer Sicht und aus Sicht anderer Mütter), die Notwedigkeit wieder zu arbeiten um die Familie finanzieren zu können, und die Suche nach dem eigenen Platz, den man mit seiner neuen Rolle in der Gesellschaft einnimmt, sorgen dafür, dass die Situation hochgradig emotional aufgeladen ist. Man hat immer wieder selbstzweifel, man ist immer wieder unsicher und tastet sich voran. Und in diesem emotionalen Mienenfeld bekommt man in den Sozialen Medien, dem Platz, wo man sich gleichgesinnte und vielleicht ein paar Antworten auf seine Fragen erhofft, immer wieder negatives Feedback.
Mich wundert es nicht, wenn man sich dann nicht traut 30€ für eine Pumphose, oder 10€ für ein Ebook zu verlangen. Man schätzt nach der Abwertung und den vielen negativen Emotionen, die einem entgegen schlagen, den Wert der eigenen Arbeit nichtmehr hoch genug ein. Man zieht sich den Schuh der "Mutti die nur schlechte Qualität liefert" irgendwann an, kalkuliert seine Preise nichtmehr wirtschaftlich und hofft vielleicht mit den niedrigen Preisen für Kunden attraktiv zu werden. Um dann in die Kritik zu geraten, weil man anderen damit ihre Preise kaputt machen würde.

Schluss mit dem Mutti-Bashing!

Ich wünsche mir, dass die, die mit Vorwürfen und Verallgemeinerungen schnell bei der Hand sind, beim nächsten Mal daran denken, dass sich die Person, die sie oberlehrerhaft rügen, die sie kritisieren und der sie vielleicht Vorwürfe machen, nicht kennen und nichts über ihren Hintergrund wissen.

Ich wünsche mir Zusammenhalt unter Frauen, unter Kreativen, unter Selbstständigen, unter allen diesen Menschen mit denen uns wahrscheinlich mehr verbindet als wir im ersten Moment sehen, denn wir werden alle irgendwann unsere Nische finden, und Qualität wird sich durchsetzen.

Ich wünsche mir, dass das Wort MUTTER kein Schimpfwort mehr ist, und nichtmehr negativ konnotiert und mit Naivität oder Ahnungslosigkeit besetzt wird. Denn egal in welchem Bereich, Mütter leisten unglaubliches, und wer neben den bestehenden Belastungen den Mut aufbringt sich selbstständig zu machen, der verdient Respekt, egal ober er scheitert oder erfolgreich wird.

Ich habe etwas in meiner Zeit als Selbstständige gelernt. Auch die Frauen und Männer, die dort arbeiten, bei Tupperware, werden gern belächelt und für verrückt gehalten, weil man dort schließlich nichts verdienen könne- Man belächelt sie zu unrecht, und neben der Tatsache, dass viele davon Leben können, können diese Menschen etwas sehr wichtiges. Sie können GÖNNEN. Sie können in einer Frauendominierten Branche nebeneinander und zusammen arbeiten ohne Studtenbissigkeit und Missgunst. Und das wünsche ich mir für alle Branchen und Szenen am meisten. Das Gönnen-können.